1.
Einleitung
Das
Recht erlangt eine immer grössere Bedeutung in der Krankenpflege. Dies
hängt sicherlich auch mit dem zunehmenden Rechtsbewusstsein der Patienten
zusammen. Auf der anderen Seite klaffen Recht und Wirklichkeit auseinander.
Um so bedeutsamer ist es daher, seine Rechte und die Rechte anderer
zu kennen.
Von besonderem Interesse ist dabei der Bereich des Haftungsrechts, da
in Krankenhäusern in Rechte anderer Personen eingegriffen wird, zB in
die körperliche Unversehrtheit bei Injektionen oder in Freiheitsrechte
durch Fixierung.
Wer für die Folgen fehlerhaften Handelns haftet, ist im Haftungsrecht
geregelt. Im folgenden Beitrag sollen einige wichtige Aspekte der Haftung
von Pflegepersonen angesprochen werden.
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2.
Haftungsrecht
Haftung
bedeutet, dass jemand für die Folgen seines Handelns einstehen muss
Wenn eine Pflegekraft zB einen Patienten widerrechtlich und schuldhaft
an seinem Körper verletzt, indem sie ein falsches Medikament spritzt,
kann sie für ihr Tun zur Verantwortung gezogen werden. Dabei können
sich aus einem fehlerhaften Handeln sowohl zivilrechtliche als auch
strafrechtliche Konsequenzen ergeben.
Die zivilrechtliche Haftung behandelt die Frage, inwieweit gegenüber
dem Patienten Schadensersatz geleistet werden muss, zB für verlängerten
Krankenhausaufenthalt oder Verdienstausfall.
In strafrechtlicher Hinsicht kann eine Pflegekraft zB wegen fahrlässiger
Körperverletzung oder Tötung zur Verantwortung gezogen werden und zu
einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt werden. Zivilrechtliche
und strafrechtliche Haftung sind voneinander zu unterscheiden.
Das Zivilrecht gehört dem Privatrecht an, das die Beziehungen der Bürger
untereinander regelt und zum grossen Teil im Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) verankert ist. Zu einem Zivilprozess kommt es nur, wenn der Bürger
selbst tätig wird, dh wenn zB der Patient Klage beim Gericht einreicht.
Im Zivilprozess werden die Beweise nicht von Amts wegen ermittelt. Vielmehr
muss der Patient einen widerrechtlichen Behandlungs- bzw Pflegefehler
beweisen, der den Schaden verursachte. Ferner muss er Verschulden und
Umfang des Schadens nachweisen. Ein solcher Beweis ist sehr schwer und
häufig nicht möglich.
Die Rechtssprechung billigt dem Patienten in Ausnahmefällen aus Gründen
der Waffengleichheit bestimmte Beweiserleichterungen zu, die bis zur
Beweislastumkehr führen können. Das gilt für folgende Fälle:
- bei versäumter
oder unvollständiger Aufklärung des Patienten muss der Arzt nachweisen,
dass eine Einwilligung vorlag
- eine lückenhafte
oder fehlende Dokumentation wird als Indiz dafür gesehen, dass eine
nicht dokumentierte Massnahme vom Arzt oder der Pflegeperson nicht
getroffen worden ist. Arzt oder Pflegepersonal müssen die Indizwirkung
entkräften
- beim groben
Behandlungsfehler (= ärztliches oder pflegerisches Fehlverhalten,
das schlechterdings nicht unterlaufen darf) wird die Ursächlichkeit
des Fehlers für den Schaden vermutet. Arzt oder Pflegekraft müssen
beweisen, dass der Schaden auch ohne Fehler entstanden wäre bzw
der Fehler nicht ursächlich für den Schaden war
Das Strafrecht gehört
dagegen dem öffentlichen Recht an, das die Beziehungen zwischen Bürger
und Staat regelt. Es ist im Strafgesetzbuch (StGB) verankert. Ein Strafverfahren
kommt in der Regel dadurch in Gang, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen
einleitet und Anklage erhebt.
Im Strafprozess werden die Beweise von Amts wegen erhoben. Hier gibt
es keine Beweiserleichterungen. Vielmehr muss das Gericht die volle
Überzeugung von der Täterschaft gewinnen, andernfalls gilt der Grundsatz:
"Im Zweifel für den Angeklagten" (in dubio pro reo).
Strafverfahren und Zivilverfahren sind selbständig und voneinander unabhängig.
Eine Strafverfolgung ist neben der zivilrechtlichen Durchsetzung von
Schadensersatzansprüchen möglich.
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3.
Strafrechtliche Haftung
Folgende
Tabelle soll einen Überblick darüber geben, welche Voraussetzungen vorliegen
müssen, damit eine Straftat vorliegt.
Aufbau der Straftat
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Tatbestands
-mässigkeit |
Rechtswidrigkeit |
Schuld |
Vorliegen
der im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmale, maW einer Handlung
laut StGB.
Die Handlung kann ein Tun oder Unterlassen sein. |
Liegt
nicht vor, wenn Rechtfertigungsgründe eingreifen, zB Notwehr,
rechtfertigender Notstand, Einwilligung |
Vorsatz
Vorsatz
ist das Wissen und Wollen der objektiven Tatbestands
-merkmale. |
Fahrlässigkeit
Fahrlässig
handelt der Täter, wenn er trotz Voraussehbarkeit einer Rechtsverletzung
einen gesetzlichen Tatbestand in pflichtwidriger Weise verwirklicht.
|
Bei
der Fahrlässigkeit ist zu beachten, dass ein subjektiver Massstab gilt,
dh es kommt auf die konkreten Umstände und die individuellen Kenntnisse
und Fähigkeiten der Pflegekraft an.
Als wichtigste Norm ist der Tatbestand der Körperverletzung (§§ 223ff
StGB) zu nennen, der bei Pflegefehlern am meisten zum Tragen kommen
dürfte.
Nach der Rechtssprechung erfüllt ärztliches und pflegerisches Handeln
den Tatbestand einer Körperverletzung, selbst dann, wenn der Eingriff
zu Heilzwecken erfolgte und kunstfehlerfrei durchgeführt wurde. Wenn
also die Pflegekraft zB eine Injektion verabreicht, dann wird der Tatbestand
der Körperverletzung nach dem Strafgesetzbuch verwirklicht. Das Handeln
ist nur dann nicht strafbar, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Als wichtigster Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung des Patienten
anzusehen, die allerdings nur in kunstfehlerfreie Eingriffe erfolgen
kann.
Die Rechtssprechung leitet das Erfordernis der Einwilligung aus den
Grundrechten der Menschenwürde nach Art 1 I GG, der freien Entfaltung
der Persönlichkeit (Art 2 I GG) und dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit
(Art 2 II GG) her. Der Patient hat ein Selbstbestimmungsrecht, er kann
also selbst entscheiden, ob er sich behandeln lässt oder nicht. Handelt
die Pflegekraft gegen den Willen des Patienten und weiss sie, dass eine
Einwilligung nicht vorliegt, dann macht sie sich strafbar.
|
4.
Zivilrechtliche Haftung
Die
zivilrechtliche Haftung hat zum Ziel, den Patienten eine Entschädigung
bei Behandlungs- und Pflegefehlern zu gewähren. Bei der zivilrechtlichen
Haftung ist im wesentlichen zwischen der Haftung aus Vertrag und Delikt
zu unterscheiden.
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4.1.
Haftung aus Vertrag
Grundlage
für die Krankenhausbehandlung ist ein Vertrag zwischen Patient und Krankenhaus,
der alle Krankenhausmitarbeiter zur Erbringung der vereinbarten, fachlich
einwandfreien Leistung verpflichtet. Bei fehlerhafter Leistung kann
der Patient aus vertraglichen Ansprüchen im Regelfall nur Schadensersatz
vom Krankenhausträger, nicht jedoch von der Pflegekraft selbst erhalten,
da Vertragspartner des Patienten allein der Krankenhausträger ist (sog
totaler Krankenhausaufnahmevertrag) bzw und/oder der Arzt ist (totaler
Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag oder gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag).
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4.2.
Haftung aus Delikt
Für
Pflegekräfte bedeutsamer ist die Haftung aus Delikt gem. §§ 823ff BGB.
Sie greift bei Verletzung von Rechtsgütern, wie Eigentum, Freiheit,
Gesundheit. Falls hier die Pflegekraft Pflegefehler schuldhaft begeht,
haftet sie selbst, sofern sie vom Patienten in Anspruch genommen wird.
Allerdings wird in der Regel die Versicherung zahlen, sofern der Fehler
nicht auf Vorsatz beruht.
Auch bei der Deliktshaftung gibt es die Unterscheidung Tatbestandsmässigkeit,
Rechtswidrigkeit, Schuld. Es gilt hier bei der Fahrlässigkeit allerdings
ein anderer Massstab als im Strafrecht. Fahrlässig iSd Zivilrechts handelt,
wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ausser Acht lässt. Es gilt
ein objektiver Massstab, dh die Sorgfalt wird auf das erwartete Verhalten
der Angehörigen der Gesundheitsberufe bezogen. Man muss sich immer die
Frage stellen: was kann von einer ausgebildeten Pflegekraft erwartet
werden?
Bei der deliktischen Haftung kann neben dem Ersatz des materiellen Schadens
(zB Kosten für Krankenhausaufenthalt, Verdienstausfall) auch der sogenannte
immaterielle Schaden (sog Schmerzensgeld) für Schmerzen, Entstellungen
usw verlangt werden.
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5.
Wann kommt es zu typischen Haftungssituationen im Bereich der Pflege?
5.1 Grundpflege
(allgemeine Pflege)
Die
Grundpflege umfasst die unmittelbare körperliche Pflege, die Versorgung
des Patienten, die psychosoziale Betreuung sowie die Beobachtung und
Überwachung des Patienten (Brenner, Seite 238).
Besonders hervorzuheben ist in diesem Bereich die Dekubitusprophylaxe.
Die Dekubitusprophylaxe gehört nach überwiegender Ansicht zur Grundpflege
(vergleiche Böhme, Seite 272; anderer Ansicht ist offenbar der BGH,
NJW 1986, Seite 2365). In diesem Rahmen wird der Krankenpflege eine
gewisse Eigenständigkeit zugebilligt.
Durch mangelnde pflegerische Versorgung kann es zu Dekubitusgeschwüren
kommen. Problemfälle waren schon mehrfach Gegenstand der Rechtssprechung
(vergleiche zB BGH, Urteil vom 18.3.1986, NJW 1986, Seite 2365ff).
Werden Dekubitusgeschwüre durch Pflegefehler verursacht, so wird hierdurch
die körperliche Unversehrtheit des Patienten verletzt. Somit erfüllt
das Fehlverhalten zum einen den Straftatbestand der Körperverletzung
und zum anderen entstehen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtssprechung
der Pflegedokumentation im Zivilprozess eine erhebliche Bedeutung zumisst.
GrdS muss der Patient einen Pflegefehler nachweisen. Eine Besonderheit
besteht jedoch, wenn eine Massnahme, zB die Dekubitusprophylaxe nicht
dokumentiert wird. Hier greift eine Beweiserleichterung für den Patienten
ein, da bei lückenhafter oder unzulänglicher Aufzeichnungen die Aufklärung
des Sachverhalts unzumutbar erschwert wird. In der fehlerhaften Dokumentation
sehen die Gerichte ein Indiz für mangelhafte Pflege (BGH, NJW 1986,
Seite 2365ff). Das bedeutet, die Pflegekraft muss im Zivilprozess dieses
Indiz entkräften. Dieser Nachweis ist nur äusserst schwer zu führen,
wenn nicht gar unmöglich. Daher sollte die Pflegedokumentation sorgfältig
geführt werden, um eventuelle Prozessrisiken zu vermeiden.
Ein Pflegefehler kann auch bei Bewegungs- und Transportmassnahmen bzgl.
eines Patienten auftreten, etwa wenn der Patient durch einen falschen
Transport stürzt. Als Beispiel wäre hier zu nennen, dass ein schwerer
Patient nur von einer Pflegekraft angehoben wird, die das Gewicht nicht
tragen kann oder der Patient wird nicht fachgerecht gefasst und hierdurch
kommt es zu Verletzungen.
Nach einer Entscheidung des BGH müssen die auf der Krankenstation an
den Patienten vorgenommenen Bewegungs- und Transportmassnahmen in einer
Weise bewerkstelligt werden, dass ein Sturz des Patienten ausgeschlossen
ist (BGH, Urteil vom 18.12.1990, VersR 1991, 310, 311)
Der BGH hatte in diesem Zusammenhang einmal folgenden Fall zu entscheiden
(BGH, Urteil vom 28.6.1991, NJW 1991, Seite 2960ff):
Eine Patientin wurde am rechten Knie operiert; ihr linkes Bein konnte
sie infolge einer Kinderlähmung nur mit einem Spezialschuh belasten.
Nach der Operation suchte die Patientin zum ersten Mal das Bewegungsbad
auf, danach war sie in einem sogenannten Duschstuhl, einem leichten
Spezialrollstuhl unter der Dusche. Bei dem Stuhl bestand die Gefahr,
dass schon ein Niesen oder ein leichtes Nach-vorn-Lehnen zum Kippen
führen konnte. Mit diesem Stuhl wurde die Patientin von der Pflegekraft
in den Ankleideraum nahe an eine Bank gefahren, auf dem ein Handtuch
lag. Die Pflegekraft wandte sich dann von der Patientin ab mit den Worten,
sie solle einen Moment warten. Die Patientin, die damals mindestens
90 kg wog, beugte sich nach vorn, um nach dem Handtuch zu greifen. Dabei
stürzte sie vornüber aus dem Duschstuhl. Sie zog sich eine Stauchungsfraktur
des zwölften Rückenwirbels sowie Prellungen und Blutergüsse zu
Das Gericht bejahte eine Pflichtwidrigkeit der Pflegekraft. Der Pflegekraft
sei die Gefährlichkeit des Duschstuhls bekannt gewesen (BGH, NJW, 2960).
Ihr sei auch klar gewesen, dass es den Patienten nach dem Duschen kalt
werde und dass sie deshalb möglichst schnell trocken werden wollen.
Unter diesen Umständen hätte sich der Pflegekraft aber aufdrängen müssen,
dass die Patientin versuchen würde, nach dem Handtuch zu greifen, um
sich abzutrocknen. Trotzdem habe sie nicht deutlich und eindringlich
auf die bei dem Duschstuhl bestehende Kippgefahr hingewiesen und die
Patientin nicht aufgefordert, sich ruhig zu verhalten und nicht nach
dem Handtuch zu greifen. Darin sah das Gericht eine Sorgfaltspflichtverletzung.
Laut BGH muss ein Sturz in einer Klinik ausgeschlossen werden. Diese
Aufgabe ist Bestandteil des Behandlungsvertrages und damit Teil der
Verpflichtung des Krankenhausträgers zu sachgerechter pflegerischer
Betreuung. Diese Betreuung obliegt dem Krankenhausträger und dem Pflegepersonal
aufgrund der Garantenstellung für die übernommene Behandlungsaufgabe.
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5.2
Krankenbeobachtung
Gesondert
angesprochen werden soll hier die Krankenbeobachtung, die eine Aufgabe
des Pflegepersonals ist. Die Pflegekraft hat einen intensiveren Kontakt
zum Patienten als der Arzt.
Grundsätzlich muss die Pflegekraft bei auftretenden Komplikationen den
Arzt verständigen und hat eigene Bemühungen einzustellen, sofern der
Patient nicht akut gefährdet ist. Falls der Arzt nicht kommt oder die
Pflegekraft abwimmelt, muss die Pflegekraft es trotzdem weiter versuchen.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Pflegeperson an den nächsthöheren
diensthabenden Arzt oder Notarzt wendet, wobei dies dokumentiert werden
sollte.
Beispiel aus der Praxis (AG Besigheim vom 27.8.1974 - AZ: 3 Ls 226/74):
Ein 16-jähriges Mädchen wurde mit einer Platzwunde, die sie sich am
Kopf bei einem Verkehrsunfall zugezogen hatte, in ein Krankenhaus eingeliefert.
Im Nachtbuch befanden sich keine Eintragungen über die Patientin u eine
mündliche Übergabe an die Nachtschwester wurde versäumt. In der Nacht
erbrach das Mädchen zweimal u klagte über starke Kopfschmerzen. Die
Nachtschwester wollte den Stationsarzt herbeirufen, vergass dies aber,
weil sie überlastet war. Sie spritzte dem Mädchen später ein Beruhigungsmittel.
Daraufhin nahm der Pulsschlag ab, was die Nachtschwester als Zeichen
der Besserung wertete.
In der Nacht verstarb die Patientin an einer Gehirnblutung aufgrund
eines auf den Röntgenbildern nicht erkennbaren Schädelbasisbruchs, den
sie beim Verkehrsunfall erlitten hat.
Das AG Besigheim hat hier entschieden, dass die Nachtschwester fahrlässig
gehandelt hat und sie wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verurteilt.
Die Schwester hätte schon beim ersten Erbrechen den Arzt verständigen
müssen, erst recht aber beim zweiten Erbrechen. Sie hatte eine Rechtspflicht
zum Handeln (= Garantenstellung). Diese Pflicht hätte sie aufgrund ihrer
Ausbildung und Erfahrung erkennen müssen. Durch pflichtwidrige Unterlassung
kam es dazu, dass die Ärzte nicht von der Gefährlichkeit des Krankheitsverlaufs
unterrichtet wurden und entsprechende Gegenmassnahmen treffen konnten.
Die Pflegekraft konnte sich auch nicht erfolgreich auf ihre Überlastung
stützen. Zwar kann im Einzelfall in Drucksituationen ein geringeres
Verschulden vorliegen bzw das Verschulden ganz entfallen. In der Regel
wird dies aber nicht gegeben sein. Der Umstand der Überlastung kann
sich allenfalls auf die Strafzumessung auswirken.
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5.3
Behandlungspflege (spezielle Pflege)
Massnahmen,
die das Krankenpflegepersonal aufgrund ärztlicher Anordnung durchführt,
werden der Behandlungspflege zugeordnet (Brenner, Seite 239). Hier sind
zB folgende Sorgfaltspflichtverletzungen zu nennen:
- Die Pflegekraft
führt die richtige Anordnung des Arztes falsch aus, sie verwechselt
zB ein Medikament.
- Die Pflegekraft
sterilisiert nicht Instrumente oder Geräte, obwohl dies erforderlich
wäre.
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5.4
Delegation ärztlicher Tätigkeiten auf das nichtärztliche Pflegepersonal
Ein
besonderer Problembereich ist die Delegation ärztlicher Tätigkeiten
auf nichtärztliches Pflegepersonal. Beispiel: Der Arzt überträgt eine
intravenöse Injektion auf die Krankenschwester.
Es existiert keine gesetzliche Regelung über die Abgrenzung ärztlicher
und pflegerischer Tätigkeiten: Einigkeit besteht darüber, dass Diagnose-
und Therapieentscheidungen nicht auf das Pflegepersonal übertragen werden
dürfen. Es ist jedoch nirgends festgelegt, ob der Arzt die Therapie
selbst durchführen muss oder Massnahmen anordnen und delegieren kann.
Aus dem Krankenpflegegesetz (KrPflG) lässt sich nichts Konkretes herleiten.
Zwar ist dort der pflegerische Aufgabenbereich angesprochen. Jedoch
ist das Krankenpflegegesetz hier keineswegs abschliessend und zählt
nur einen Beispielkatalog auf, aus der sich letztendlich keine bindende
abschliessende Festlegung des Aufgabenbereichs entnehmen lässt.
Das KrPflG schützt nur die Berufsbezeichnung, also ob sich jemand "Krankenschwester"
oder "Krankenpfleger" nennen darf oder nicht, legt jedoch nicht die
Berufsausübung fest.
Näheres ergibt sich auch nicht aus der Ausbildungs- und Prüfungsordnung.
Dort werden nur die Mindestanforderungen festgelegt, die in der Ausbildung
verlangt werden, nicht jedoch der berufliche Einsatzbereich beschränkt.
Es bleibt den Schulen überlassen, über die weitergehenden Mindestanforderungen
hinaus Kenntnisse zu vermitteln. Eine gesetzlich abschliessende Regelung
besteht jedenfalls nicht. Auch aus dem Berufsrecht anderer Berufe im
Gesundheitswesen sowie dem Heilpraktikergesetz lässt sich keine abschliessende
Kompetenzverteilung entnehmen. Insofern können nur die Literatur, die
Rechtssprechung und die Stellungnahmen der Berufs- und Fachverbände
einen gewissen Anhaltspunkt geben.
In der Literatur werden ärztliche und pflegerischen Aufgaben danach
abgegrenzt, ob ärztliches Fachwissen erforderlich ist oder nicht. Danach
werden zum ärztlichen Aufgabenbereich alle Diagnose- und Therapieentscheidungen
gezählt sowie solche Verrichtungen und Eingriffe, die aufgrund ihrer
Komplikationsdichte und Gefährdungsnähe ärztliches Wissen und Können
unbedingt erfordern (Schell, Seite 13). Es ist aber überwiegend anerkannt,
dass der Arzt bei Erledigung seiner Aufgaben das Krankenpflegepersonal
hinzuziehen darf, wobei es für die Zulässigkeit einer solchen Delegation
auf die konkrete Tätigkeit, die Art des Eingriffs und die Kenntnisse
und Fertigkeiten der jeweiligen Pflegekraft ankommt. Je geringer Komplikationsdichte
und Gefährdungsnähe, desto eher kann die Massnahme übertragen werden.
Vieles spricht für diese Auffassung, da die Allgemeinheit bzw der Patient
vor Gesundheitsschädigungen geschützt werden muss und es sicherlich
deshalb von erheblicher Bedeutung ist, ob es sich um einen gefährlichen
Eingriff handelt und welche Kenntnisse die Pflegekraft im einzelnen
besitzt. Verschiedene Urteile zeigen, dass auch die Rechtssprechung
geneigt ist, diese Kriterien zu beachten.
Ärztlicher und pflegerischer Aufgabenbereich können nicht schematisch
strikt getrennt werden, da es vielfach Überschneidungen gibt. Das Pflegepersonal
wird häufig im Bereich der Durchführung der Therapie eingesetzt.
Nach überwiegender Ansicht kann das Pflegepersonal ärztlich angeordnete
Therapie- und Diagnoseentscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen
selbständig durchführen. Dies wird insbesondere unter dem Gesichtspunkt
der Delegation von Injektionen oder ähnlichen Massnahmen diskutiert.
Literatur, sowie Berufs- und Fachverbände ordnen die Vornahme von Injektionen,
Infusionen und Blutentnahmen zwar grundätzlich dem Aufgabenbereich des
Arztes zu Der Arzt darf diese Tätigkeiten jedoch unter bestimmten Voraussetzungen
auf das Krankenpflegepersonal übertragen.
Sofern der Arzt Injektionen auf eine Pflegeperson überträgt, trägt er
die Anordnungsverantwortung (Führungsverantwortung), dh er haftet für
Fehler, die ihm bei der Auswahl der Kraft und der Anordnung unterlaufen.
Die Pflegekraft trägt die Durchführungsverantwortung (Handlungsverantwortung),
dh sie haftet für Fehler, die ihr bei der Durchführung einer solchen
Tätigkeit unterlaufen. Sie kann daher wegen fahrlässiger Körperverletzung
oder Tötung bestraft werden bzw muss unter Umständen Schadensersatz
leisten, wenn sie eine Massnahme fehlerhaft durchführt.
Für eine Delegation sind folgende Voraussetzungen erforderlich:
- Einwilligung
des Patienten: Handelt die Pflegekraft ohne Einwilligung des Patienten,
so macht sie sich strafbar.
- Anordnung
des Arztes, in der die zu übertragende Aufgabe inhaltlich festgelegt
ist: Die Pflegekraft muss genau wissen, welche Massnahmen durchgeführt
werden sollen. Die Anordnung sollte möglichst schriftlich sein.
Dieses Erfordernis ergibt sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Denn die Dokumentation ist von erheblicher Bedeutung als Nachweis
vor Gericht. Eine Ausnahme besteht in Notfällen.
- Kenntnisse
und Fähigkeiten der Pflegekraft: Die Pflegekraft muss die erforderlichen
Fähigkeiten und Kenntnisse für die durchzuführende Massnahme besitzen.
Sie muss also die Injektionstechnik beherrschen und Grundkenntnisse
des zu verabreichenden Medikaments besitzen. Dabei ist weniger der
Ausbildungsabschluss entscheidend, sondern vielmehr das tatsächliche
Wissen und Können der Pflegekraft. Zu beachten ist hier, das die
Pflegekraft eine Übernahmeverantwortung trägt. Wenn sie sich im
konkreten Fall dem Eingriff nicht gewachsen fühlt und erkennt, dass
sie zur Ausführung nicht in der Lage ist, darf sie die Massnahme
nicht durchführen. Sie muss den Arzt darauf hinweisen, der dann
das über das weitere Vorgehen entscheiden kann. Die Pflegekraft
hat in Fällen, in denen sie aufgrund einer gesunden Selbsteinschätzung
zu dem Schluss kommt, dass sie nicht die nötige Qualifikation für
den Eingriff hat, ein Verweigerungsrecht. Dies ergibt sich insbesondere
aus § 8 II 3 BAT, wonach der Angestellte Anordnungen, "deren Ausführung
- ihm erkennbar den Strafgesetzen zuwiderlaufen würden, nicht zu
befolgen hat." Eine Verweigerung sollte allerdings nur in begründeten
Fällen erfolgen, da ansonsten arbeitsrechtliche Nachteile entstehen
können (Kündigung). Zur Vermeidung solcher Nachteile sollte in der
Einrichtung eine Dienstanweisung aufgestellt werden, um klare Regeln
zu schaffen.
- Die Art
des Eingriffs erfordert nicht das Tätigwerden des Arztes: Ob die
Tätigkeit einer Injektion übertragen werden darf, bestimmt sich
entscheidend nach der objektiven Gefährlichkeit des Eingriffs. Massstab
hierfür sind die einzusetzenden Medikamente und die angewendete
Injektionstechnik. Es gibt Medikamente, die sind so gefährlich,
dass sie von Krankenpflegepersonen überhaupt nicht verabreicht werden
dürfen, unabhängig davon mit welcher Injektionstechnik diese injiziert
werden. Zu dieser Gruppe zählen:
- Alle
Röntgenkontrastmittel
- alle
Herzmittel, wie Strophantin
- alle
Zytostatika
- Alle
Medikamente, bei denen häufig Zwischenfälle beobachtet wurden
Dies gilt ausnahmsweise nicht für gut organisierte Intensivstationen
und die Anästhesie, weil in diesen Bereichen ärztliches Personal
verstärkt anwesend ist.
Ist das zu spritzende Medikament nicht gefährlich und hat die Schwester
oder der Pfleger ausreichende Kenntnisse in der Pharmakologie, dann
ist als weiterer Anhaltspunkt die einzusetzende Injektionstechnik
heranzuziehen, wobei allerdings auch immer der Einzelfall entscheidend
ist und es auf die individuelle Pflegekraft und deren Kenntnisstand
ankommt. In der Literatur haben sich folgende Grundsätze herausgebildet:
- Subkutane
und intrakutane Injektionen sind von der Technik her einfach
und weisen eine geringe Komplikationsgefahr auf. Daher sind
sie auf examinierte Pflegekräfte (Krankenpflege- und Altenpflegekräfte)
und zB auch auf KrankenpflegehelferInnen übertragbar.
- Intramuskuläre
Injektionen sind nicht ungefährlich. Eine Übertragung kommt
in der Regel nur auf examiniertes Pflegepersonal in Betracht.
Die Durchfürung intramuskulärer Injektionen kann auch auf AltenpflegerInnen
delegiert werden, wenn sie die entsprechenden Techniken und
Kenntnisse erlernt haben. Umstritten ist, ob eine Übertragung
auch auf Krankenpflegehelfer/innen zulässig ist. Es muss im
Einzelfall entschieden werden.
- Intravenöse
Injektionen sind dagegen gefährlich, da die Injektion schwierig
ist und das Injektionsmittel schneller wirkt. Eine Übertragung
kommt nur auf speziell ausgebildetes Krankenpflegepersonal in
Betracht (zB nach Weiterbildung). Sofern eine intravenöse Injektion
nicht erlernt wurde, darf eine solche Injektion nicht auf die
betreffende Krankenpflegeperson übertragen werden.
- Überwachung
durch den Arzt: Der Arzt hat die Pflicht zur Aufsicht und Kontrolle.
Er muss daher sicherstellen, dass vorhersehbare Gefahrenzustände
ausgeräumt werden. Die Pflegekraft muss vom Arzt instruiert werden,
zB ist ihr die Gefahrenlage zu beschreiben oder sie muss auf Besonderheiten
hingewiesen werden. Der Arzt soll schliesslich eine Endkontrolle
vornehmen, zB die Wirkung eines Medikamentes prüfen. Zu beachten
ist, dass der Arzt immer mitverantwortlich ist.
Falls diese Voraussetzungen
nicht vorliegen, kann dies unter Umständen Bedeutung für die Pflegekräfte
haben. Die Pflegekraft kann dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn
sie eine ärztliche Anordnung missachtet oder eigenmächtig, dh ohne ärztliche
Anordnung handelt.
Sogenannte Spritzenscheine können den Arzt nicht im Einzelfall von der
Überwachung und Anleitung der Pflegeperson entbinden. Auch die Pfegekraft
wird hierdurch nicht von ihrer Durchführungsverantwortung befreit. Sofern
die Pflegeperson berechtigte Zweifel an einer Anordnung hat, muss sie
diese dem Arzt mitteilen, damit dieser seine Entscheidung überdenken
kann. Dies ergibt sich aus ihrer Beobachtungsverpflichtung nach § 4
KrpflG. Die Bedenken sollte die Pflegekraft dokumentieren. Sofern der
Arzt bei seiner Anordnung bleibt, haftet er im Rahmen seiner Anordnungsverantwortung
für einen Schaden des Patienten. Die Pflegeperson hat dagegen weiterhin
die Durchführungsverantwortung.
|
5.5
Übersicht
Anhand
folgender Übersicht soll zusammenfassend verdeutlicht werden, wann nach
den Grundsätzen der Literatur eine Pflegekraft bei der Vornahme ärztlicher
Tätigkeiten haften müsste.
Sachverhalt |
Folge |
Der Patient will nicht, dass die Pflegekraft ihm eine Injektion
setzt Die Pflegekraft gibt ihm trotzdem die Injektion. |
Haftung wegen fehlender Einwilligung des Patienten |
Es fehlt die ärztliche Anordnung. Die Pflegekraft gibt trotzdem
die Injektion. Beim Patienten entsteht eine Lähmung.
|
Haftung wegen eigenmächtigen Handelns ohne ärztliche Anordnung
|
Die Pflegekraft gibt die Injektion nicht so, wie sie vom Arzt
angeordnet wurde, zB injiziert sie ein anderes Medikament. Dadurch
entsteht ein Schaden beim Patienten. |
Haftung wegen Missachtung der ärztlichen Anordnung |
Die Pflegekraft führt die Injektion nicht kunstgerecht aus,
weil ihr ein Fehler bei der technischen Durchführung unterläuft.
Sie desinfiziert zB die Einstichstelle nicht oder verwechselt
ein Medikament. Es entsteht ein Schaden beim Patienten. |
Haftung aufgrund der Durchführungsverantwortung |
Die Injektion übersteigt die individuellen Fähigkeiten der
Pflegekraft, weil sie zB die Technik nicht beherrscht. Sie handelt
trotzdem, so dass der Patient verletzt wird. |
Haftung aufgrund Übernahmeverschuldens |
|
5.6
Notfälle
In
Notfällen, wenn also ärztliche Hilfe nicht sofort erreichbar ist, kann
die Pflegekraft nach bestem Wissen und Fähigkeiten ohne ärztliche Anordnung
handeln. Sie ist dazu sogar verpflichtet, da sie sich andernfalls wegen
unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB strafbar machen kann. Ausserdem
kommt eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung
durch Unterlassen in Betracht je nach Einzelfall.
|
5.7
Eigenmächtige Durchführung von Behandlungsmassnahmen
Wie
oben bereits erläutert, darf eine Pflegeperson nicht eigenmächtig Behandlungsmassnahmen
vornehmen. Eine interessante Entscheidung hatte in diesem Zusammenhang
das OLG im Jahr 1992 zu fällen (OLG Düsseldorf vom 2.12.1992 - 27 U
103/91):
Ein Patient in einer psychiatrischen Klinik wurde entgegen der dem Pflegepersonal
bekannten Weisung der ärztlichen Klinikleitung ohne schriftliche Anordnung
wegen starker Unruhe mittels eines Bauchgurtes und Fussfesseln im Bett
fixiert. Einge Zeit später merkte man, dass im Zimmer des Patienten
ein mit starker Rauchentwicklung verbundenes Feuer ausgebrochen war.
Das Bettzeug des Patienten war in Brand gesetzt worden. Der Patient
erlitt schwere Verbrennungen 2. und 3. Grades an Füssen und Beinen hinauf
bis zu den Genitalien. Er wurde zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus
eingeliefert und verstarb dort.
Das Gericht verurteilte die handelnden Pflegepersonen zum Schadensersatz.
Die Pflichtwidrigkeit wurde vom Gericht darin gesehen, dass das Pflegepersonal
ohne vorherige schriftliche ärztliche Anordnung des diensthabenden Arztes
teilfixiert hat und es auch unterliess, den Arzt sofort von dieser Massnahme
zu unterrichten u dessen weitere Entscheidung abzuwarten.
Nach Auffassung des OLG handelt es sich bei der Fixierung um eine Behandlungsmassnahme,
die im Interesse des Heilerfolgs u der Sicherheit des Patienten dem
Arzt vorbehalten ist. Der Arzt trägt die Anordnungskompetenz. Das Pflegepersonal
handelt danach bereits dann pflichtwidrig, wenn die Fixierung ohne ärztliche
Anordnung vorgenommen wird. Nur in Ausnahmefällen darf das Pflegepersonal
ohne ärztliche Anordnung handeln, wenn die Fixierung unaufschiebbar
ist und zur Abwendung akuter Gefahren für den Patienten oder andere
dient. Aber auch dann muss danach jedenfalls der diensthabende Arzt
hinzugezogen werden. Das eigenmächtige Aufrechterhalten der Fixierung
erweist sich als pflichtwidrig.
In diesem Zusammenhang hat das Gericht weiter entschieden, dass es im
Einzelfall geboten sein kann, einen teilfixierten Patienten lückenlos
optisch und akustisch zu überwachen. Dies insbesondere, wenn der Patient
psychisch krank ist, Gefahren selbst nicht erkennen kann, Verletzungsrisiken
durch die Fixierung ausgesetzt ist (zB Aufschlagen auf harten Teilen
der Bettgestelle oder an der Wand mit den freibeweglichen Körperteilen
oder dem Kopf) oder eine Gefährdung anderer Patienten nicht auszuschliessen
ist. Fehlt es an einer Überwachung, so liegt ebenfalls eine Pflichtwidrigkeit
vor.
|
5.8
Telefonische Anordnung
Ordnet
der Arzt telefonisch eine Massnahme an, so besteht die Gefahr von Hör-
und Übermittlungsfehlern. So kann es zB passieren, dass eine Pflegekraft
die Anordnung des Arztes falsch versteht.
Teilweise werden telefonische Anordnungen in der Literatur als unzulässig
und unverantwortlich angesehen (vergleiche Klie, Seite 88), teilweise
aber auch als erlaubt. Telefonische Anordnungen sind sicherlich bedenklich,
wenn der Arzt sich nicht vorher ein eigenes Bild vom Patienten macht,
um danach seine Entscheidung zu treffen. Letztendlich wird man für die
Zulässigkeit solcher Anordnungen auf den Einzelfall abstellen müssen.
Falls es durch einen Übermittlungsfehler zu einem Missverständnis kommt
und hierdurch ein Schaden beim Patienten entsteht, würde im Falle eines
Prozesses zunächst einmal der Arzt das Risiko eines derartigen Übermittlungsfehlers
tragen, weil er sich für die telefonische Anordnung entschieden hat.
Es ist zu empfehlen, dass die Pflegekraft die telefonische Anordnung
schriftlich fixiert und der Arzt sich die Anordnung von der Pflegekraft
wiederholen lässt, um sicher zu stellen, dass die Pflegeperson die Anordnung
richtig verstanden hat. Das Risiko von Übermittlungsfehlern wird so
verringert, wenn nicht gar vermieden.
|
5.9
Bedarfsmedikation
Bedarfsmedikation
bedeutet, dass der Arzt der Pflegekraft aufgibt, ein bestimmtes Medikament,
bei "Bedarf" zu verabreichen oder eine Behandlungsmassnahme vorzunehmen.
Eine solche Anordnung ist äusserst problematisch, da die Medikation
hier nicht auf die konkrete Situation des Patienten hin erfolgt. Wann
soll denn ein Bedarf gegeben sein? Der Begriff ist völlig unklar. Eine
Bedarfsmedikation wird daher in der Literatur als unzulässig angesehen,
soweit es dem Krankenpflegepersonal einen eigenen Entscheidungsspielraum
im diagnostischen und therapeutischen Bereich belässt (vergleiche Klie
Seite 88).
Das Pflegepersonal ist grundsätzlich nicht befugt, eigene Diagnose-
und Therapieentscheidungen zu treffen. Das würde eine Pflegekraft aber
tun, wenn sie selbständig das Medikament, den Verabreichungszeitpunkt,
die Applikationsart sowie die Dosierung wählen könnte. Die Pflegekraft
müsste in einem solchen Fall wegen Übernahmeverschuldens haften. Etwas
anderes könnte nur dann gelten, wenn der Arzt vorher genau die Art des
Medikaments und die Dosierung bestimmen kann, so dass die Pflegekraft
routinemässig handelt.
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5.10
Hygiene
Da
es in Krankenhäusern häufiger zu nosokomialen (dh im Krankenhaus erworbener)
Infektionen kommt, ist auch der Bereich der Hygiene von Bedeutung für
die Haftung.
Die Pflegekraft ist fachlich verantwortlich für die Beachtung der Asepsis,
Desinfektion und Sterilisation. Das ergibt sich aus § 4 I KrPflG. Falls
die Pflegeperson in diesem Bereich fehlerhaft handelt, hat der fahrlässig
geschädigte Patient Anspruch auf Schadensersatz/Schmerzensgeld.
Als Beispiel sei hier folgender Fall genannt, der allerdings einen Arzt
betraf (OLG Düsseldorf, Urteil vom 4.6.1987, VersR 1988, Seite 40f.):
Der Arzt hatte zwei Patienten untersucht und dann, ohne zuvor seine
Hände zu desinfizieren, bei einem weiteren Patienten die Spritze gesetzt.
Das Gericht hat darin einen groben Behandlungsfehler gesehen. In Anbetracht
der stets zu bedenkenden Infektionsgefahren sei das Unterlassen der
gebotenen Desinfektion der Hände ein unter keinen Umständen verständliches
und verantwortbares Versäumnis Das Gericht hat wegen des groben Behandlungsfehlers
eine Beweislastumkehr angenommen mit der Folge, dass der Arzt nachweisen
musse, dass die unterbliebene Desinfektion seiner Hände tatsächlich
nicht zum Eindringen von Bakterien in das Gewebe geführt hat. Der Arzt
konnte im konkreten Fall den Nachweis nicht erbringen.
Bei Pflegepersonen gilt entsprechendes. Auch sie würden bei schuldhafter
fehlender Desinfektion zur Verantwortung gezogen, zB wenn eine Pflegekraft
eine intramuskuläre Spritze gibt, ohne vorher die Einstichstelle zu
desinfizieren. Das ist ein grober Behandlungsfehler.
Einen weiteren Problembereich in der Hygiene soll folgender Fall verdeutlichen
(BGH, Urteil vom 3.11.1981, VersR 1982, Seite 161ff):
Wegen Verdachts auf Hyperkalzämie sollte bei einer Patientin ein sog
Kyle-Test durchgeführt werden, wozu dem Patienten durch eine Infusion
calcium gluconicum in Lävuloselösung verabreicht wird. Gegen 21 Uhr
legte der Arzt die Infusion an, welche vor mehr als einer Stunde durch
eine Krankenschwester vorbereitet worden war, die um 20 Uhr Dienstschluss
hatte. Später traten bei der Patientin Schüttelfrost und hohes Fieber
sowie Beklemmungs- und Schmerzbeschwerden in Magen, Brust und Rücken
auf. Der Kyle-Test wurde abgebrochen und die Patientin, die einen septischen
Schock erlitten hatte, intensiv ärztlich versorgt. Ursache für den septischen
Schock war eine Verunreinigung der Infusionslösung durch Bacillus enterobacter
aerogenes Das Gericht entschied hier, die Infusionslösung dürfe, gerade,
um eine für den Patienten gefährliche Bildung von Bakterien in ihr zu
vermeiden, äusserstens eine knappe Stunde vor der Applikation angesetzt
werden (BGH, VersR 1982, Seite 162).
In der viel zu frühen Vorbereitung der Lösung durch die Krankenschwester
sieht das Gericht einen erheblichen und leichtfertigen Verstoss gegen
die ärztlichen Sorgfaltspflichten, der geeignet gewesen sei, die septische
Schädigung der Patientin herbeizuführen (BGH, VersR 1992, Seite 162).
Die zuständigen Ärzte und das nichtärztliche Hilfspersonal hätten wichtige
und selbstverständliche Grundregeln für die Sterilhaltung der Infusionslösung
nicht nur unbeachtet gelassen, deren Beachtung vielmehr noch durch die
getroffene Arbeitsverteilung geradezu unmöglich gemacht haben. Eine
ärztliche Kontrolle über den Zeitpunkt der Vorbereitung der Lösung habe
offensichtlich gefehlt.
Als Hygienefehler sind auch anzusehen:
- Vorbereitung
von Desinfektionslösungen für mehr als 24 Stunden im voraus
- zu lange
andauerndes Liegenlassen intravenöser Katheter und deren falsche
Handhabung
- Einsatz
von kontaminierten Inhalatoren
- Verbandswechsel
mit Kontaminationen des Umfeldes
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6.
Wer muss im Falle der Haftung zahlen?
Falls
das Pflegepersonal einen Fehler begeht und an den Patienten Schadensersatz
leisten muss, trägt in der Regel die Berufshaftpflichtversicherung der
Krankenhäuser den Schaden, sofern eine solche für das nichtärztliche
Hilfspersonal abgeschlossen wurde. Dies gilt natürlich nur für die zivilrechtliche
Haftung.
Zu beachten ist, dass das Tätigwerden des Pflegepersonals im ärztlichen
Bereich eine ärztliche Anordnung voraussetzt. Sofern die Pflegeperson
eigenmächtig handelt, könne es Schwierigkeiten mit der Versicherung
geben.
Bei Vorsatz kann die Versicherung den Versicherungsschutz ganz versagen.
Die Einzelheiten hängen vom jeweiligen Versicherungsvertrag ab.
Sofern ein Krankenhausträger jedoch überhaupt keine Haftpflichtversicherung
für ihr Personal abgeschlossen hat, muss die Pflegekraft unter Umständen
selbst zahlen. Um dies zu verhindern, sollten sich Pflegekräfte beim
Krankenhausträger danach erkundigen, ob eine Haftpflichtversicherung
für das nichtärztliche Personal abgeschlossen wurde. Falls nicht, sollten
die Pflegekräfte selbst eine entsprechende Berufshaftpflichtversicherung
abschliessen.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Krankenhausträger oder Arzt
die Verantwortung für die zivilrechtliche Haftung des Pflegepersonals
bei der Ausführung der Tätigkeit im ärztlichen Bereich übernimmt, zB
bei der Durchführung von Injektionen. Die Haftungsübernahme sollte aus
Beweisgründen schriftlich erfolgen.
Kosten (Gerichts- und Verteidigerkosten) für eine Strafverfolgung werden
von der Berufshaftpflichtversicherung nicht ersetzt. Solche Kosten ersetzt
aber eine berufliche Rechtsschutzversicherung, die ebenfalls abgeschlossen
werden kann.
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7.
Literaturverzeichnis
- Hans Böhme:
Das Recht des Krankenpflegepersonals, Teil 2 Haftungsrecht. Stuttgart
ua, 3te Auflage 1991
- Günter
Brenner: Rechtskunde für das Krankenpflegepersonal. Stuttgart ua,
6te Auflage 1997
- Werner Schell:
Injektionsproblematik aus rechtlicher Sicht. Hagen, 4te Auflage 1995
- Thomas
Klie: Rechtskunde: Hannover, 5te Auflage 1996
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8.
Die Autorin
Simone Pies
ist
Juristin und unterrichtet das Fach Gesetzeskunde an einer Krankenpflegeschule.
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